Lexikon Arbeitsrecht

Stichwort: Europäische Gesellschaft

Was haben die Allianz, Deichmann, Vapiano, Conrad Electronic und BASF gemeinsam? Sie firmieren als Societas Europaea (SE), als sogenannte Europäische Gesellschaft. Die Europäische Gesellschaft ist eine im Europarecht verankerte Form der Aktiengesellschaft. Bereits seit 2004 besteht für Unternehmen mit internationalem Bezug in Europa die Möglichkeit als SE zu firmieren.

I. Rechtliche Grundlagen für die SE sind sowohl im EU-Recht, als auch in nationalem Recht zu finden.

Vorrangig kommt die EU-Verordnung über das Statut der SE, Nr. 2157/2001 vom 08.10.2001: ABIEG Nr. L 294 vom 10.11.2001 zur Anwendung. Ergänzung finden diese Gesetzesgrundlagen durch das nationale Gesetz zur Einführung einer SE (SEEG). Dieses besteht aus dem SE-Ausführungsgesetz (SEAG) und dem SE-Beteiligungsgesetz (SEBG), es setzt zusätzlich die Vorgaben der EU-Richtlinie über die Rechte der Arbeitnehmer der SE, Nr. 2001/86/EG vom 08.10.2001: ABIEG Nr. L 294 vom 10.11.2001, in unser nationales Recht um.

Daneben bleiben für alle nicht ausdrücklich geregelten Situationen die allgemeinen Vorschriften des Aktiengesetzbuchs (AktG) und des Handelsgesetzbuches (HGB) anwendbar.

II. Gründungszeitpunkt der Europäischen Gesellschaft

Mit in Kraft treten des deutschen Einführungsgesetzes (SEEG) am 29.12.2004 ist eine SE Gründung auch im deutschen Wirtschaftsraum möglich. Sofern die Hauptverwaltung in Deutschland ansässig ist, ist der Sitz der SE in Deutschland und sie wird – wie andere Gesellschaftsformen auch - in das Handelsregister eingetragen., wodurch sie ihre Rechtsfähigkeit erlangt.

III. Gründungsvoraussetzungen

Anders als eine nationale Aktiengesellschaft kann eine Societas Europaea nicht durch natürliche Personen, sondern nur durch juristische Personen (AG, bestehende SE, GmbHs und sonstige Gesellschaften mit bestimmten Einschränkungen) gegründet werden.

Die Gründungsgesellschaften müssen zum einen ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre Hauptverwaltung in der EU haben, andererseits muss sie eine Verbindung zu einem anderen oder mehren Mitgliedstaaten aufweisen („europäisches Element”).

Zur Gründung der SE bestehen vier denkbare Szenarien:

  • Verschmelzung von nationalen Aktiengesellschaften aus mindestens zwei Mitgliedstaaten
  • Umwandlung einer nationalen Aktiengesellschaft mit europäischem Bezug1 in eine Europa AG
  • Gründung einer Holdinggesellschaft von Aktiengesellschaften und/oder GmbHs, die in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten ihren Sitz haben oder seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaates unterliegende Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung haben
  • Gründung einer gemeinsamen Tochtergesellschaft von Aktiengesellschaften und/oder GmbHs, die in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten ihren Sitz haben oder seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaates unterliegende Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung haben.

IV. Organe der SE

Die SE besitzt ein Wahlrecht zwischen dem monistischen System (Hauptversammlung, Verwaltungsrat) und dem dualistischen System (Hauptversammlung, Leitungsorgan, Aufsichtsorgan).

Dadurch ist es möglich, daß eine SE mit Sitz in Deutschland eine monistische Struktur wählt. Sofern satzungsmäßig nicht anders bestimmt, besteht ihr Verwaltungsrat aus 3 Mitgliedern. Ab einem Grundkapital von drei Millionen Euro muß der Verwaltungsrat allerdings mit mindestens drei Mitgliedern besetzt werden. Die gesetzliche Festlegung der Höchstzahl diesem Gremium angehöriger Personen ist abhängig vom Grundkapital.2

Im Verwaltungsrat gibt es zumindest einen geschäftsführenden Direktor sowie daneben nicht geschäftsführende Direktoren/Mitglieder. Wird eine mitbestimmte Gesellschaft im monistischen System gegründet, gehören die Arbeitnehmervertreter unmittelbar dem Verwaltungsrat an.

Im dualistischen System muß ab einem Grundkapital von mehr als drei Millionen Euro das Leitungsorgan aus mindestens 2 Personen bestehen. Bei einer nicht mitbestimmten Gesellschaft kann die Satzung vorsehen, daß die Leitung der SE nur durch eine Person vorgenommen wird.

Die Größe des Aufsichtsorgans steht in Abhängigkeit zur Höhe des Grundkapitals. Bei einer mitbestimmten SE setzen sich seine Mitglieder aus Aktionärs- und Arbeitnehmervertretern zusammen.

V. Unternehmerische Mitbestimmung

Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben die Möglichkeit zur Einigung auf ein beliebiges Mitbestimmungsmodell. Zum Zwecke der Verhandlungsführung in diesem Einigungsprozess wird auf Arbeitnehmerseite ein besonderes Verhandlungsgremium gebildet.

Das Verhandlungsgremium folgt in seiner Zusammensetzung dem Umstand, daß es Arbeitnehmer aus verschiedenen Gesellschaften und Mitgliedstaaten vertritt. Die Wahl erfolgt nach einem bestimmten Länderschlüssel in geheimer und unmittelbarer Wahl.

Gewerkschaften haben Vorschlagsrechte. Besteht keine Arbeitnehmervertretung, wählen die Arbeitnehmer direkt. Andernfalls sind Konzern-, Gesamtbetriebsräte und Betriebsräte zur Wahl aufgerufen.

Das Wahlgremium ist auf max. 40 Mitglieder begrenzt. Innerhalb von 10 Wochen nach Verlautbarung der geplanten Gründung durch die Unternehmensleitung muß das Gremium errichtet sein. Seine Entscheidung hat es innerhalb von 6 Monaten zu treffen; eine Fristverlängerung auf 12 Monate ist möglich.

Im Falle eines Scheiterns der vorgenannten Verhandlungen tritt - unter der Prämisse einer in den beteiligten Gesellschaften bestehenden Mitbestimmung sowie der Erfüllung gesetzlich vorgesehener Voraussetzungen - eine Auffangregelung in Kraft. Dies dient der Wahrung bereits vor der SE-Gründung existierender Mitbestimmungsrechte auf Arbeitnehmerseite.

Sie gilt ab dem Zeitpunkt der Eintragung und führt in Hinsicht auf die Gründungsform zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Im Fall der Umwandlung bleibt die vorher bestehende Mitbestimmung in der nationalen Aktiengesellschaft nach § 34 Abs. 1 Ziff. a SEBG bestehen.

Bei der Verschmelzung kann es zu einer Übertragung des höchsten Mitbestimmungsstandards einer beteiligten Gesellschaft auf die SE kommen.

Voraussetzung ist, daß vor Eintragung mindestens in einer der beteiligten Gesellschaften Mitbestimmungsrechte bestehen und diese sich auch auf 25% der Gesamtarbeitnehmer erstreckt. Dies gilt auch, wenn für weniger als 25% der Gesamtarbeitnehmer Mitbestimmungsrechte bestehen, das Verhandlungsgremium aber einen entsprechenden Beschluss nach § 34 Abs. 1 Ziff. b. SEBG faßt.

Die Auffangregelung bei Holding-SE oder Tochter-SE funktioniert nach dem gleichen Prinzip, jedoch mit höheren Schwellenwerten. Hier müssen 50% der Gesamtarbeitnehmer entsprechende Mitbestimmungsrechte haben.

1 AG muß mindestens über einen Zeitraum von 2 Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen europäischen Mitgliedstaat haben. Eine Sitzverlegung anläßlich der Umwandlung ist unzulässig.

2 Vgl. § 23 SEAG.

Jörg Schwaab, Pflüger Rechtsanwälte GmbH

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