Lexikon Arbeitsrecht

Stichwort: Gewerkschaft

Die Gewerkschaften sind die Interessenvertreter der Arbeitnehmerschaft (Arbeiter, Angestellte, Beamte, Auszubildende). Sie sind unabhängig von Staat, Kirchen und den Parteien und setzen sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder ein. Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten sie vor allem immer dann, wenn sie zur Durchsetzung ihrer Forderung nach höherem Lohn streiken oder durch Arbeitskampfmaßnahmen Betriebsstilllegungen oder Ausgliederungen verhindern wollen. Die jüngsten Auseinandersetzungen bei AEG und Telekom sind jedem geläufig.

Gewerkschaften treten gemeinsam mit Arbeitgeberverbänden als „Gesetzgeber” im Betrieb auf. In § 2 Abs. 1 des Tarifvertragsgesetzes (TVG) wird erwähnt, dass Gewerkschaften Tarifvertragsparteien sind – neben einzelnen Arbeitgebern und Arbeitgeberverbänden. Das heißt, sie regeln anstelle des staatlichen Parlaments die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder normativ. Dahinter steht die Idee, dass Gewerkschaften – anders als der einzelne Arbeitnehmer – in der Lage sind, gerechtere Bedingungen durchzusetzen.

Das Bundesarbeitgericht hat in ständiger Rechtsprechung folgende Voraussetzungen für die Anerkennung als Gewerkschaft aufgestellt:

  • Gewerkschaften müssen frei gebildet sein.
  • Sie müssen vom sozialen Gegenspieler unabhängig sein. Eine Organisation mit Mitgliedern aus dem Kreis der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber würde dieses Kriterium nicht erfüllen.
  • Darüber hinaus muss die Gewerkschaft gegenüber dem Arbeitgeberverband in der Lage sein, ihre Forderungen durchzusetzen. Hierzu bedarf es einer gewissen Durchsetzungskraft, damit Mitliederstärke und Leistungsfähigkeit der Organisation.

Unbestritten erfüllen die im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zusammengefassten Organisationen diese Anforderungen. Sie sind in der Lage, Tarifverträge zu Gunsten ihrer Mitglieder durchzusetzen, gegebenenfalls mit Arbeitskampfmaßnahmen. Ihre soziale Mächtigkeit, die für die Gewerkschaftseigenschaft grundlegend ist, kann nicht bestritten werden. Im DGB als Dachverband sind acht Einzelgewerkschaften organisiert:

  • IG Bauen-Agrar-Umwelt
  • IG Bergbau, Chemie, Energie
  • EVG - Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft
  • Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
  • IG Metall
  • Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gastätten
  • Gewerkschaft der Polizei
  • ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft

Die DGB-Gewerkschaften sind bundesweit für alle Bereiche der deutschen Wirtschaft zuständig und nach dem sogenannten Industrieverbandsprinzip aufgebaut. Das heißt, dass Arbeitnehmer aus einzelnen Industriebereichen sämtlich von einer DGB-Gewerkschaft repräsentiert werden. Beispiel: In der Automobilindustrie werden alle Beschäftigten vom Bandarbeiter bis zum Bereichsleiter in die IG Metall aufgenommen.

Nach ihrem Selbstverständnis sind die DGB Gewerkschaften politisch unabhängig. In ihren Reihen finden sich nicht nur Mitglieder der SPD, sondern solche aus allen anderen demokratischen Parteien, insbesondere der CDU/CSU und der Linkspartei.

Der DGB und seine Einzelgewerkschaften reagieren sensibel auf das Entstehen neuer Arbeitnehmervereinigungen, die den Abschluss von Tarifverträgen zum Ziel haben. Sie haben seit Jahren mit sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen, fürchten Konkurrenzorganisationen und stellen deren Gewerkschaftseigenschaft in Frage. Stetes Argument gegen die Konkurrenz: Den Kleineren fehle Durchsetzungsfähigkeit und organisatorische Leistungsfähigkeit. So bestritten per Gerichtsverfahren etwa die IG Metall die Gewerkschaftseigenschaft der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM), die vor allem im Osten Deutschlands Tarifverträge schließt; ver.di bekämpfte Organisationen wie die Unabhängige Flugbegleiter-Organisation (UFO), die das Kabinenpersonal größerer Fluggesellschaften, insbesondere der Deutschen Lufthansa, organisiert.

Das Bundesarbeitsgericht hat in zwei Entscheidungen den CGM und die UFO als Gewerkschaften anerkannt. Die Durchsetzungsfähigkeit des CGM sei durch eine Reihe von Tarifverträgen belegt. Der CGM sei also in der Lage, die Rechte seiner Mitglieder zu vertreten. Bei UFO sei entscheidend, dass Arbeitnehmer in Schlüsselpositionen organisiert seien. Diese könnten in Auseinandersetzungen Druck ausüben, weil sie nicht so schnell ersetzbar seien.1)

Ganz unplausibel klingen die Argumente des Bundesarbeitsgerichts nicht. Übersteigerte Anforderungen an die Tariffähigkeit würden zu einer Aushöhlung der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG führen. Der „Markt” für tariffähige Arbeitnehmervereinigungen würde dann sehr schnell geschlossen sein und es könnte praktisch keine neue Organisation mehr als Gewerkschaft auftreten. Die DGB-Gewerkschaften müssen sich daher darauf einstellen, mit Argumenten für bessere Lösungen zu werben, ohne mit Hilfe der Gerichte kleinere Organisationen aus dem Ringen um Tarifverträge verdrängen zu können.

Neben dem DGB-Gewerkschaften gibt es weitere Arbeitnehmerorganisationen, die sich als Gewerkschaften definieren. Teilweise sind sie in Dachverbänden zusammengefasst. Dies sind im Wesentlichen:

  • Der Deutsche Bankangestellten Verband (DBV) – Gewerkschaft der Finanzdienstleister, eine aus der sozialliberalen Tradition der Hirsch-Dunkerschen Gewerkvereine entstandenen Organisation, die derzeit vermehrt Erfolge im Bankgewerbe vermelden kann.
  • Der Marburger Bund, der durch den Ärztestreik öffentliches Aufsehen erregte.
  • Der Christliche Gewerkschaftsbund (CGB) mit seinen Organisationen, insbesondere der Christlichen Gewerkschaft Metall und dem DHV, einer Angestelltenorganisation.
  • Der Deutsche Beamtenbund (DBB), dem Einzelorganisationen wie die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) sowie die im Postbereich tätige Kommunikationsgewerkschaft DPV angehören.

 
1
) BAG, 14.12.2004, Aktenzeichen 1 ABR 51/03, AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1; BAG 28.03.2006, Aktenzeichen 1 ABR 51/04, AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 4.
 
Dr. Norbert Pflüger, Pflüger Rechtsanwälte GmbH

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