eNews Spezial zur Betriebsratswahl 2022 | Ausgabe 3
Das dritte Geschlecht bei der Betriebsratswahl
Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2017 (Beschluss vom 10.10.2017 – Az. 1 BvR 2019/16) das dritte Geschlecht anerkannt hat, stellt sich den Wahlvorständen für die anstehenden Betriebsratswahlen die Frage, wie dieses bei der Berechnung der Mindestsitze zu berücksichtigen ist.
Die Entscheidung für den formell richtigen Weg wird vor allem auch dadurch erschwert, dass die das Minderheitengeschlecht behandelnden Normen im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und der dazugehörigen Wahlordnung (WO) nicht einheitlich formuliert sind. In § 15 BetrVG heißt es „das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist,“, die Norm ist also offen formuliert. Sie benennt die Geschlechter nicht ausdrücklich. Jedoch bestimmt die korrespondierende Vorschrift in § 5 WO, die § 15 BetrVG näher ausgestaltet, dass die Mindestsitze für das Geschlecht in der Minderheit anhand der „Zahlen der am Tage des Erlasses des Wahlausschreibens im Betrieb beschäftigten Frauen und Männer“ berechnet werden. Die Vorschrift ist auch bei der jüngsten Reform der Wahlordnung im Oktober 2021 unverändert geblieben.
Aus dieser unklaren Rechtslage ergeben sich mehrere Möglichkeiten, wie bei der Betriebsratswahl mit dem dritten Geschlecht umgegangen werden kann. Der Wahlvorstand könnte sich entweder auf den Standpunkt stellen, dass das dritte Geschlecht nicht zu berücksichtigen ist, da keine Änderung der Wahlvorschriften erfolgte. Will er dem dritten Geschlecht Rechnung tragen, könnte er die Diversen mit dem „zweiten“ Minderheitengeschlecht (Männer oder Frauen) zusammenzählen und auf dieser Grundlage die Sitze für das Minderheitengeschlecht berechnen. Alternativ könnte der Wahlvorstand mit den drei Geschlechtern so verfahren wie bei der Stimmenauszählung mit drei Vorschlagslisten. Dann würde den Diversen nur in dem Fall ein Mindestsitz zustehen, wenn sie zahlenmäßig im Betrieb entsprechend stark vertreten sind.
Das Zusammenzählen der Diversen mit entweder Männern oder Frauen als gemeinsames Minderheitengeschlecht ist nicht zu empfehlen. Hierfür gibt es keine gesetzliche Grundlage.
Das dritte Geschlecht außer Acht zu lassen ist nach aktuellen Gesetzesstand rechtlich möglich, da eine bindende Verpflichtung zur Berücksichtigung in dem Wortlaut der derzeitigen Wahlvorschriften nicht enthalten ist.
Letztlich kann sich der Wahlvorstand auch dafür entscheiden, die drei Geschlechter wie drei Vorschlagslisten zu behandeln. Dem steht zwar grundsätzlich der bereits zitierte § 5 WO entgegen, der das dritte Geschlecht unerwähnt lässt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich bei der fehlenden Änderung im Rahmen der Reform der Wahlordnung um ein Versehen handelt und der Verordnungsgeber eine Anpassung lediglich versäumt hat. Dafür spricht der Schutzzweck des § 15 BetrVG und des § 5 WO, Unterrepräsentation von Geschlechtern im Betriebsrat zu verhindern. Eine zeitnahe Aktualisierung der Wahlordnung ist wünschenswert, um Zweifel bei der Auslegung auszuräumen. Bis dahin ist es für Wahlvorstände aus verfassungsrechtlichen Gründen vertretbar, diese Methode anzuwenden. Das dient der praktischen und angemessenen Umsetzung der generellen rechtlichen Anerkennung des dritten Geschlechts.
Dr. Andreas Lutz, Pflüger Rechtsanwälte GmbH
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