Lexikon Arbeitsrecht

Stichwort: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist der von einem Arzt ausgestellte, schriftliche Nachweis, dass der Arbeitnehmer erkrankt ist und ihn dies an der Erbringung der Arbeitsleistung hindert. Sie ist Anspruchsvoraussetzung für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und die Gewährung von Krankengeld durch die gesetzliche Krankenversicherung.

Vorlagepflicht

Bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Kalendertagen muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) grundsätzlich eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Der Arbeitgeber kann hierauf verzichten. Der Arbeitgeber hat allerdings nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG die Möglichkeit, vom Arbeitnehmer bereits vor Ablauf von drei Kalendertagen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen. Dieser Grundsatz wurde aktuell vom Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 14.11.2012 (Az.: 5 AZR 886/11) bestätigt.

Danach steht es im freien Ermessen des Arbeitgebers, ob er bereits am ersten Tag ein Attest vom Arbeitnehmer verlangt. Er benötigt insoweit weder eine Begründung noch einen Sachverhalt, der Anlass für den Verdacht eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Arbeitnehmers gibt. Unzulässig ist die Weisung des Arbeitgebers nur dann, wenn sie willkürlich erfolgt. Das Gesetz weist dem Arbeitgeber somit ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht (Direktionsrecht) zu, auf dessen Grundlage er die frühere Vorlage anordnen kann.

Soweit es technisch möglich ist, muss die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch am ersten Tag übergeben werden.

Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit berechnet sich nach Kalendertagen. Für die Frage, wann die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dem Arbeitgeber vorgelegt werden muss, kommt es dagegen auf die Arbeitstage an; deren Bestimmung erfolgt nach der individuellen Arbeitsverpflichtung des erkrankten Arbeitnehmers. Danach kann auch ein Sonntag verpflichtender Übergabetag für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sein, wenn der Arbeitnehmer an diesem Tag eine Arbeitsverpflichtung hatte. Eine Rückdatierung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nur in Ausnahmefällen möglich und soll zwei Tage nicht überschreiten.

Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit

Bei einer Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über den zunächst bescheinigten Termin ist der Arbeitnehmer gemäß § 5 Abs. 1 Satz 4 EFZG zur Vorlage einer Folgebescheinigung verpflichtet. Eine Pflicht, dem Arbeitgeber die Folgebescheinigung noch vor Ablauf der ersten Arbeitsunfähigkeit oder alsbald nach Ausstellung durch den Arzt vorzulegen, lässt sich dem Gesetz jedoch nicht entnehmen.

Inhalt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Der die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellende Arzt muss nicht nur eine Erkrankung feststellen, sondern vielmehr die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit. Zudem ist auch die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit zu testieren. Die Ausstellung der Bescheinigung durch ärztliches Hilfspersonal oder einen Heilpraktiker genügt nicht.

Der Arbeitnehmer hat die freie Wahl, welchen Arzt er aufsuchen will; er kann nicht gezwungen werden, sich an einen bestimmten Arzt wie den Betriebs- oder Werksarzt zu wenden.

Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs. 1 EFZG

Einer im Inland ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung ein hoher Beweiswert zu; mit ihr besteht eine tatsächliche Vermutung, dass der Arbeitnehmer infolge Krankheit arbeitsunfähig war. Grundsätzlich gilt diese Vermutung auch für im Ausland ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.

§ 275 Abs. 1a SGB V beschreibt in Regelbeispielen, unter welchen Voraussetzungen Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen. Es handelt sich zum einen um den Fall, dass der Arbeitnehmer häufig für eine kurze Dauer arbeitsunfähig ist oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit oft auf einen Tag am Beginn oder am Ende der Woche fällt. Zum anderen wird der Fall genannt, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von einem Arzt herrührt, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auffällig geworden ist.

Weitere Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen dann, wenn

  1. der Arbeitnehmer sein Fernbleiben nach einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber oder nach einer Weigerung ankündigt, Urlaub zum gewünschten Termin zu gewähren;
  2. der Arbeitnehmer widersprüchliche Angaben zum Hergang eines die Arbeitsunfähigkeit herbeiführenden Unfalls macht;
  3. der Arbeitnehmer sich nicht so verhält, wie es von einem Kranken erwartet wird; wobei Arbeitsunfähigkeit nicht zwingend häusliche Ruhe voraussetzt;
  4. der Arbeitnehmer während der attestierten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einer Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber nachgeht, oder
  5. der Arbeitnehmer der Aufforderung einer Begutachtung durch den Medizinischen Dienst nicht nachkommt.

Rechtsfolgen bei Verletzung der Vorlagepflicht

Nach § 7 EFZG besitzt der Arbeitgeber ein Zurückbehaltungsrecht und ist daraus berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern, solange der Arbeitnehmer die von ihm nach § 5 Abs. 1 EFZG vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt oder der ihm nach § 5 Abs. 2 EFZG obliegenden Verpflichtungen nicht nachkommt. Darüber hinaus kommt eine Abmahnung durch den Arbeitgeber in Betracht. Im Wiederholungsfall droht dem Arbeitnehmer auch der Verlust des Arbeitsplatzes nach einer verhaltensbedingten Kündigung; im Extremfall ausnahmsweise sogar nach einer außerordentlichen Kündigung.

Philip Groth, Pflüger Rechtsanwälte GmbH

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