eNews 77 | September 2020

Kann ich mich von einem nachteiligen Aufhebungsvertrag lösen, wenn der Arbeitgeber unfair verhandelt hat?

Will ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer beenden, kann er selbstverständlich eine Kündigung aussprechen. Verfügt der Arbeitnehmer wie in den meisten Fällen über Kündigungsschutz, zieht das aber in der Regel ein gerichtliches Verfahren und oft auch die Zahlung einer Abfindung nach sich. Deshalb kann es in einer solchen Situation vorkommen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag vorlegt, den dieser unterschreiben soll. Der Aufhebungsvertrag sieht meistens die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Zahlung einer Abfindung vor und regelt zugleich, dass im Übrigen keine Ansprüche mehr zwischen den Parteien bestehen. Manche Arbeitnehmer unterschreiben einen solchen Vertrag im Affekt, da sie den Ausspruch einer Kündigung vermeiden wollen. Haben sie eine Nacht darüber geschlafen, kann die Reue über die unüberlegte Unterschrift groß sein. Das gilt insbesondere dann, wenn sie feststellen, dass die Bundesagentur für Arbeit wegen des Aufhebungsvertrages regelmäßig eine dreimonatige Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld I verhängt. Der Betroffene fragt sich dann, ob es eine Möglichkeit gibt, den Abschluss des Aufhebungsvertrages ungeschehen zu machen.

Nach einer noch recht neuen Entwicklung in der Rechtsprechung ist das unter strengen Voraussetzungen möglich. Zu beachten ist aber, dass im Grundsatz jeder für die von ihm geschlossenen Verträge selbst verantwortlich ist und für deren Konsequenzen einstehen muss. Ein generelles Widerrufsrecht für Aufhebungsverträge besteht deshalb nicht. Andererseits war eine Anfechtung des Aufhebungsvertrages schon immer möglich, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor dem Vertragsschluss etwa bedroht oder ihn vorsätzlich getäuscht hat.

Als Neuschöpfung der Rechtsprechung greift nun unterhalb der Schwelle der Anfecht­barkeit die Verletzung des „Gebots fairen Verhandelns“, die zur Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages führen kann. Den Grundstein für diese Entwicklung legte das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Februar 2019 (Urteil vom 07.02.2019, Az. 6 AZR 75/18). Im Mai diesen Jahres hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern die Entscheidung des BAG aufgegriffen und eine Verletzung des Gebots fairen Verhandelns im konkreten Fall bejaht (Urteil vom 19.05.2020, Az. 5 Sa 173/19).

Die Gerichte haben geurteilt, dass eine Verletzung dieses Gebots nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen ist. Erforderlich ist, dass der Arbeitgeber nicht einmal ein Mindestmaß an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses gewahrt hat. Dafür reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keine Bedenkzeit oder kein vertragliches Rücktrittsrecht einräumt. Auch muss der Arbeitgeber nicht ankündigen, dass er mit dem Arbeitnehmer über einen Aufhebungsvertrag sprechen möchte.

Unfaires Verhandeln liegt aber vor, wenn der Arbeitgeber eine psychische Druck­situation schafft oder ausnutzt, die eine freie und überlegte Entscheidung des Arbeitnehmers erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Das kann der Fall sein, wenn der Arbeitgeber bewusst für unangenehme Rahmenbedingungen bei der Verhandlung des Vertrages sorgt oder eine erkennbare körperliche oder psychische Schwäche, gegebenenfalls auch schlechte Sprachkenntnisse, des Arbeitnehmers ausnutzt. Die Beweislast für das Vorliegen unfairen Verhandelns trägt der Arbeitnehmer.

In dem Urteil des BAG hatte – jedenfalls nach dem Vortrag der klagenden Arbeit­nehmerin – ein Vertreter des Arbeitgebers die Arbeitnehmerin, die sich krank zu Hause befand, in ihrer Wohnung aufgesucht. Dort habe ihr Sohn sie geweckt, und sie habe unter dem Einfluss von Schmerzmitteln und „im Tran“ den Aufhebungsvertrag unterschrieben.

In dem vom LAG Mecklenburg-Vorpommern entschiedenen Fall waren die Umstände weniger eindeutig, reichten aber trotzdem für eine Verletzung des Gebots fairen Verhandelns aus. Der Kläger, ein Diplom-Agraringenieur, unterrichtete unter anderem die Fächer Informatik und Physik an einer Förderschule. Nach einem Unterrichtsbesuch äußerte sich die kommissarische Schulleiterin ihm gegenüber kritisch hinsichtlich der Durchführung der Schulstunde. Am Nachmittag desselben Tages lud der Justiziar des Schulamtes den Lehrer telefonisch zu einem Gespräch am nächsten Tag ein, zu dem dieser auch erschien, obwohl er sich arbeitsunfähig gemeldet hatte. Das Gespräch dauerte nur 10 bis 15 Minuten. Im Rahmen des Gesprächs unterzeichnete der Arbeit­nehmer einen Aufhebungs­vertrag. Das Gericht nahm an, er sei in der Gesprächs­situation „völlig verzweifelt“ und „mit seinen Nerven am Ende“ gewesen. Auch sei das Gespräch so kurz gewesen, dass der Kläger nicht in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen. Da der Kläger erkennbar nicht fähig gewesen sei, seine Interessen wahrzunehmen und eine freie und überlegte Entscheidung zu treffen, sei das Gebot fairen Verhandelns verletzt. Der Aufhebungs­vertrag war deshalb unwirksam und das Arbeitsverhältnis zu den ursprünglichen Bedingungen fortzusetzen, ohne dass es des Abschlusses eines neuen Arbeitsvertrages bedurfte.

Die Rechtsprechung hat mit dem Gebot fairen Verhandelns einen eng begrenzten Ausweg aus unüberlegt geschlossenen Aufhebungsverträgen geschaffen. Trotzdem sollten Arbeitnehmer immer einen Rechtsanwalt einschalten, wenn ihr Arbeitgeber ihnen einen solchen Vertrag vorlegt. Wir beraten Sie gerne rund um das Thema Aufhebungsvertrag.
 
Andreas Lutz, Pflüger Rechtanwälte GmbH

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