eNews 78 | November 2020

Zugriff des Betriebsrats auf ein Bewerbungsmanagement-System im Rahmen des § 99 BetrVG

Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit der notwendigen Information des Betriebsrats nach § 99 BetrVG auseinandergesetzt und dabei die Notwendigkeit des gleichen Informationsstands des Betriebsrats betont.

Nicht selten löst das Beteiligungsverfahren nach § 99 BetrVG Streit zwischen den Betriebspartnern aus. § 99 BetrVG berechtigt den Betriebsrat, die Zustimmung zu personellen Einzelmaßnahmen (z. B. Einstellung eines Mitarbeiters) aus bestimmten Gründen zu verweigern. Dann darf der Arbeitgeber die Maßnahme vorerst nicht durchführen. Neben dem Bestehen von Zustimmungsverweigerungsgründen ist dabei in regelmäßigen Abständen auch die Frage strittig, in welchem Umfang der Betriebsrat zu unterrichten ist. Die ordnungsgemäße Unterrichtung durch den Arbeitgeber ist von entscheidender Bedeutung. Erst mit ihr wird das Mitbestimmungsverfahren wirksam eingeleitet, mit der Folge, dass die Ein-Wochen-Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG für die Zustimmungsverweigerung zu laufen beginnt.

In dem vom LAG zu entscheidenden Fall sollte die Stelle eines Programmierers neu besetzt werden. Für die Rekrutierung nutzte das Unternehmen eine Bewerbungs­management­software. In dieser wird für die einzelnen Bewerber eine virtuelle Bewerbungs­mappe angelegt, in der verschiedene Tools aufgerufen werden können. Die Bewertung von Bewerbern erfolgt entweder direkt über Sterne im Profil-Bereich oder bei vordefinierten Fähigkeiten im Bereich Bewerber­übersicht. In der Bewerber­übersicht findet sich auch die Rubrik „Team Chat“, in der Kommentare zu dem Bewerber eingegeben werden können. Diese Kommentare sind für alle Mitarbeiter sichtbar, die Zugriff auf den Bewerber haben, und können nachträglich weder bearbeitet noch gelöscht werden.

Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung zur beabsichtigten Einstellung eines der Bewerber. Er stützte sich darauf, dass die Anhörung nicht vollständig gewesen sei. Insbesondere habe er keinen Einblick in die Kommentarfunktion der Software gehabt.

Das LAG Köln betont zunächst den Sinn und Zweck der Unterrichtungs­pflicht nach § 99 Abs. 1 BetrVG. Dem Betriebsrat soll die Prüfung ermöglicht werden, ob ein Zustimmungs­verweigerungs­grund zu einer personellen Einzelmaßnahme vorliegt. Er hat im Rahmen des Verfahrens nach § 99 BetrVG zudem die Möglichkeit, Anregungen für die Auswahl der Bewerber zu geben und Gesichtspunkte vorzubringen, die aus seiner Sicht für die Berücksichtigung eines anderen als den vom Arbeitgeber ausgewählten Stellenbewerber sprechen.

Die Anhörung im Sinne des § 99 BetrVG muss umfassend sein. Sie hat unter Vorlage der für die Meinungs­bildung des Arbeitgebers notwendigen Bewerbungs­unterlagen zu erfolgen und erstreckt sich auf alle Bewerber, also auch auf diejenigen, die der Arbeitgeber für die Einstellung nicht in Betracht ziehen will.

Bei der Nutzung einer Software zum Bewerbungs­management reicht es nach Ansicht des Gerichts zur Erfüllung des Informations­anspruchs des Betriebsrats nicht, wenn der Arbeitgeber die Unterlagen der in seiner EDV befindlichen Dateien ausgedruckt zur Verfügung stellt. Der Betriebsrat muss, so das LAG Köln, auch von den Funktionen profitieren können, welche die Software bietet. Nur mit einem entsprechenden Lesezugriff konnte der Betriebsrat sich auf denselben Informations­stand bringen wie der Arbeitgeber. Anders als vom Arbeitgeber eingewendet, sind Gegenstand der Unterrichtung nicht nur die wesentlichen Tatsachen, sondern auch die (subjektiven) Einschätzungen des Arbeitgebers, die ihn zu der getroffenen Entscheidung bewogen haben und aufgrund derer der ausgewählte Bewerber nach seiner Einschätzung besser ist als die anderen. Diese Kommentare aus der Chat-Funktion der Bewerbungs­manage­ment-Software konnte der Betriebsrat aber nur mit Lesezugriff einsehen.

Im Ergebnis hat das Gericht die vom Arbeitgeber begehrte Zustimmung zur Einstellung des Bewerbers nicht ersetzt.

Es ist bekannt, dass Software-Tools häufig die Möglichkeit bieten, Bewerber und ihre Qualifikationen mittels Matching-Funktionen mit den Stellen­anforderungen abzugleichen. Betriebsräte sollten Dokumentationen darüber einfordern, welche Funktionalitäten die den Bewerbungs­prozess unterstützende Software beinhaltet. Nur so können sie wissen, ob sie über den gleichen Informations­stand wie der Arbeitgeber verfügen. Neben den Bewerbungs­unterlagen in Papierform gehören dazu auch die Bewertungen und Kommentare zu den einzelnen Bewerbern. Auch in diese müssen dem Betriebsrat Einsicht gewährt werden, dies gegebenenfalls über einen Lesezugriff auf die Software.

Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 15.05.2020 – Az. 9 TaBV 32/19
 
Dr. René von Wickede, Pflüger Rechtsanwälte GmbH

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