eNews 81 | November 2021
Arbeitgeber kann bei Lockdown Gehaltszahlungen einstellen
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem überraschenden Urteil vom 13. Oktober 2021 (Az. 5 AZR 211/21, bislang nur als Pressemitteilung verfügbar) entschieden, dass der Arbeitgeber nicht zur Fortzahlung der Vergütung seiner Mitarbeiter verpflichtet ist, wenn der Betrieb im Rahmen eines allgemeinen Lockdowns durch behördliche Anordnung geschlossen wird.
Sachverhalt
Die Arbeitgeberin betreibt einen Handel mit Nähmaschinen und verfügt in Bremen über eine Filiale. Dort war die klagende Arbeitnehmerin seit Oktober 2019 als geringfügig Beschäftigte im Verkauf tätig. Im April 2020 war die Filiale aufgrund einer behördlichen Allgemeinverfügung der Stadt Bremen geschlossen. Die Klägerin konnte deshalb ihre Arbeitsleistung nicht erbringen und erhielt keine Vergütung. Diese machte sie klageweise geltend.
Rechtlicher Hintergrund
Grundsätzlich muss der Arbeitgeber nur Arbeitsleistung vergüten, die tatsächlich erbracht wird. Dem liegt der Gedanke „Ohne Arbeit kein Lohn“ zugrunde. Gehaltszahlungen ohne korrespondierende Arbeitsleistung gibt es nur in Ausnahmefällen, die gesetzlich normiert oder in der Rechtsprechung anerkannt sein müssen. Das ist etwa bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder dem Urlaubsentgelt der Fall. Den Arbeitgeber trifft die Pflicht zur Fortzahlung der Vergütung auch dann, wenn die Mitarbeiter ihre Arbeitsleistung nicht erbringen können und dies dem Arbeitgeber zuzurechnen ist. Fallen beispielsweise in der Produktion notwendige Maschinen aus, muss der Arbeitgeber die betroffenen Mitarbeiter entlohnen, als ob sie tatsächlich gearbeitet hätten. Er trägt das sogenannte „Betriebsrisiko“.
Entscheidung des BAG
Das BAG hat nun entschieden, dass die Schließung eines Betriebes aufgrund eines Lockdowns kein Fall des Betriebsrisikos darstellt. Deshalb bleibe es bei dem Grundsatz, dass ohne Arbeitsleistung keine Vergütung zu zahlen ist. Durch die behördliche Schließungsanordnung verwirkliche sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko. Stattdessen diene die behördliche Anordnung dazu, eine die Gesellschaft insgesamt treffende Gefahrenlage zu bekämpfen. Die finanziellen Nachteile, die den Mitarbeitern dadurch entstehen, habe gegebenenfalls der Staat auszugleichen. Dies sei etwa durch den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld geschehen. Der Klägerin stand aufgrund ihrer nur geringfügigen Beschäftigung jedoch kein Kurzarbeitergeld zu. Dieser Umstand könne nach dem BAG jedoch nicht dazu führen, dass der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet sei.
Bewertung
Die Entscheidung des BAG ist abzulehnen. Das vorinstanzlichen Landesarbeitsgericht Niedersachsen (v. 23.03.2021 – Az. 11 Sa 1062/20) hat zutreffend erkannt, dass sich im Falle eines Lockdowns das wirtschaftliche Risiko des Arbeitgebers realisiert, die Arbeitskraft der Mitarbeiter nicht verwerten zu können.
Dieses wirtschaftliche Risiko ist auch in bestimmten Arten von Betrieben angelegt. Geht es wie hier um ein Ladengeschäft, ist dieses typischerweise besonders anfällig für behördliche Schließungsanordnungen aufgrund einer pandemischen Lage. Denn das Geschäftsmodell ist auf möglichst viel Kundenverkehr ausgelegt und wird von einer Schließung spezifisch getroffen. Der Arbeitgeber hat zudem die Möglichkeit, das Risiko von Betriebsschließungen durch Versicherungen abzudecken.
Die Entscheidung des BAG ist vor dem Hintergrund der abermals steigenden Inzidenzen bzw. Hospitalisierungsraten und dem denkbaren Szenario eines weiteren Lockdowns brisant. Es bleibt abzuwarten, wie sich die weitere Rechtsprechung zu diesem aktuellen Problem entwickeln wird.
Dr. Andreas Lutz, Pflüger Rechtsanwälte GmbH
Auch in dieser Ausgabe:
3G-Regel am Arbeitsplatz und Homeoffice-Pflicht Lesen
Copyright: © Saskia Steffen, Pflüger Rechtsanwälte GmbH
Alle Rechte vorbehalten. Abdruck und / oder Vervielfältigung der Texte oder Auszüge aus ihnen nur nach Rücksprache und mit Genehmigung des Rechteinhabers.
All rights reserved. No part of the newsletter may be reproduced in any form without written permission from the author.