eNews 86 | April 2023
Fristlose Kündigung: Muss der Arbeitnehmer ein Weiterbeschäftigungsangebot des Arbeitgebers annehmen?
In einem Urteil vom 29.03.2023 (Az. 5 AZR 255/22) hat sich das Bundesrbeitsgericht (BAG) damit auseinandergesetzt, welche Folgen es hat, wenn ein Arbeitnehmer ein gleichzeitig mit der fristlosen Kündigung ausgesprochenes Weiterbeschäftigungsangebot der bisherigen Arbeitgeberin ablehnt. Kann der Arbeitnehmer Vergütung ohne Arbeitsleistung verlangen, wenn die Kündigung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat?
Der Kläger arbeitete seit August 2018 als technischer Leiter bei der beklagten Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin sprach zunächst mit Schreiben vom 02.12.2019 eine fristlose Änderungskündigung aus und bot dem Kläger einen neuen Vertrag als Softwareentwickler mit einer um circa 30 Prozent geringeren Vergütung an. Für den Fall der Ablehnung des Angebots erwarte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer wieder zum Dienst. Der Kläger nahm das Angebot nicht an und blieb der Arbeit fern. Als Reaktion darauf kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 14.12.2019 nochmals fristlos und teilte gleichzeitig mit, dass sie den Kläger zu einem bestimmten Zeitpunkt bei der Arbeit erwarte, wenn er die Kündigung ablehne. Der Arbeitnehmer nahm die Arbeit nicht wieder auf und erhob Klage.
Die Arbeitsgerichte stellten rechtskräftig fest, dass beide Kündigungen das Arbeitsverhältnis nicht beendet hatten. Vor dem BAG stritten die Parteien noch darum, ob die Arbeitgeberin die Vergütung bis zum Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses des Klägers nachzahlen muss.
Die Arbeitgeberin hatte argumentiert, der Arbeitnehmer könne keinen Lohn ohne korrespondierende Arbeitsleistung (sog. Annahmeverzugslohn) verlangen. Der Kläger habe ihr Angebot abgelehnt, während des Kündigungsschutzprozesses bei ihr weiterzuarbeiten. Die Beklagte habe sich daher nicht im Annahmeverzugslohn befunden.
Während der Kläger in den ersten beiden Instanzen noch verloren hatte, gab das BAG ihm Recht. Der Arbeitnehmer war nicht verpflichtet, das Angebot der Arbeitgeberin auf Weiterbeschäftigung anzunehmen.
Mit Ausspruch einer fristlosen Kündigung bringt die Arbeitgeberin dem BAG zufolge deutlich zum Ausdruck, dass sie es für unzumutbar hält, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Bietet sie zugleich die Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses an, verhält sie sich widersprüchlich. Deshalb greift bei der außerordentlichen Kündigung eine widerlegbare Vermutung, dass das Weiterbeschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist. Gelingt es der Arbeitgeberin nicht, diese Vermutung zu entkräften, kann von der Ablehnung des Angebots nicht auf einen fehlenden Leistungswillen des Arbeitnehmers geschlossen werden. Es ist dem Arbeitnehmer unter diesen Umständen nicht zumutbar, wieder auf seinen Arbeitsplatz zurückzukehren.
Auch der Kläger könnte sich im zu entscheidenden Fall jedoch widersprüchlich verhalten haben. Er lehnte die angebotene Weiterbeschäftigung als unzumutbar ab, beantragte im Kündigungsschutzprozess aber selbst die vorläufige Weiterbeschäftigung, um seinen Vergütungsanspruch zu sichern. Das BAG hielt diesen scheinbaren Widerspruch für unproblematisch. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Arbeitnehmers greift nur dann, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung(en) festgestellt ist. Durch seinen Sieg in der ersten Instanz wird der Arbeitnehmer „rehabilitiert“. (Nur) unter diesen Umständen ist es ihm zumutbar, die Arbeit im Betrieb wieder aufzunehmen.
Der Entscheidung des BAG ist zuzustimmen. Die Einstufung des Weiterbeschäftigungsangebots bei fristloser Kündigung als unzumutbar trifft zu. Arbeitnehmer können ein solches Angebot grundsätzlich ablehnen, ohne bei Unwirksamkeit der Kündigung ihren Vergütungsanspruch zu verlieren. Es verbleibt freilich das Restrisiko, dass es dem Arbeitgeber im Prozess einmal gelingt, die von dem BAG aufgestellte tatsächliche Vermutung zu entkräften.
Die Problematik des Annahmeverzugslohns bei Unwirksamkeit einer Kündigung ist vermehrt Gegenstand grundlegender Entscheidungen – es sind weitere richtungsweisende Urteile zu erwarten. Zuletzt hatte das Urteil des BAG vom 27.05.2020 (Az. 5 AZR 387/19) für Aufsehen gesorgt. Darin hatte das Gericht zugunsten des dortigen Arbeitgebers entschieden, dass er einen Auskunftsanspruch gegen den gekündigten Arbeitnehmer auf von der Bundesagentur für Arbeit unterbreitete Vermittlungsvorschläge hat. Diese ermöglichen dem Arbeitgeber die Prüfung, ob der Arbeitnehmer es nach Ablauf der Kündigungsfrist unterlassen hat, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen, was insoweit zum Verlust des Anspruchs auf Annahmeverzugslohn führen kann.
Die Besprechung des Urteils des BAG vom 29.03.2023 (Az. 5 AZR 255/22) beruht auf der Pressemitteilung des Gerichts.
Dr. Andreas Lutz
Pflüger Rechtsanwälte GmbH
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