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eNews 94 | Juli 2024

Das Minderheitengeschlecht (divers/weiblich/männlich) bei der Betriebsratswahl – eine (schwierige) Frage der Verteilung der Mindestsitze

§ 15 Abs. 2 BetrVG bestimmt bekanntlich, dass das Geschlecht, welches in der Beleg­schaft in der Minder­heit ist, mindestens entsprechend seinem zahlen­mäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein muss, wenn dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht.

Bekannt ist ebenfalls, dass das BVerfG (Beschluss vom 10.10.2017, Az. 1 BvR 2019/16) die Eintragungs­mög­lich­keit eines „drittes“ Geschlechtes für diejenigen als unab­dingbar verlangt hat, welche sich weder dem weib­lichen noch dem männ­lichen Geschlecht zugehörig fühlen. Die damit verbundene formal­rechtliche Anerkennung des dritten Geschlechtes eröffnet Folgefragen bei der Betriebs­ratswahl, welche der Gesetz­geber bislang nicht beantwortet und deren Beant­wortung er den Gerichten überlassen hat.

So war es auch bei einer Wahl, über die das ArbG Berlin zu entscheiden hatte. Dort waren neun Betriebs­rats­mitglieder zu wählen. Im Betrieb wurde die Anzahl der Mitarbeiter bezogen auf die Geschlechter wie folgt bestimmt: 45 „weiblich“, 56 „männlich“, 17 „divers“. Entsprechend wies das Wahl­ausschreiben für die Geschlechter­gruppe „divers“ einen Mindest­sitz aus. Dies hatte der Wahl­vorstand durch Anwendung des d´hondtschen Höchst­zahlen­verfahrens ermittelt. Das zweite – „weibliche“ – Minder­heiten­geschlecht erhielt keine Mindest­sitze.

Das ArbG Berlin hat in dieser Vorgehensweise einen Verstoß gegen wesent­liche Vorschriften der Betriebs­rats­wahl gesehen (§ 15 Abs. 2 BetrVG, § 3 Abs. 2 Nr. 5, § 5 und § 15 Abs. 5 WO). Es stellte heraus, dass ausweislich der Gesetzes­begründung mit der Regelung des § 15 Abs. 2 BetrVG Frauen der Zugang zu Betriebs­räten erleichtert werden sollte, in denen sie in aller Regel unter­repräsentiert sind. Damit sollte insbesondere auch ihr Potenzial bei der Betriebs­rats­arbeit gestärkt werden, damit sie frauen­spezifische Themen, wie beispiels­weise die Förderung der Gleich­berechtigung, die Förderung von Familie und Erwerbs­tätig­keit sowie Frauen­förder­pläne in den Fokus nehmen können. Kurzum, so das ArbG Berlin, dient die betriebs­verfassungs­recht­liche Geschlechter­quote der tatsäch­lichen Durch­setzung der Gleich­berechtigung von Frauen und Männern und trägt damit dem verfassungs­recht­lichen Auftrag aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG Rechnung.

In der Folge kann die Regelung des § 15 Abs. 2 BetrVG nicht so angewandt werden, dass Frauen im Verhältnis zu Männern von der Mindest­sitz­regelung in keiner Weise mehr „profitieren“ können. Das Gericht wies in diesem Zusammen­hang darauf hin, dass immerhin 40 % der Beschäftigten in dem Betrieb auf das weibliche Geschlecht fielen.

Das Gericht hat offen­gelassen, ob die Frage der Geschlechter­zuordnung hier hätte näher geprüft werden müssen. Die Arbeit­nehmer­gruppe, die dem Geschlecht „divers“ zugeordnet wurde, umfasste neben fünf Personen, die „additional gender“ oder „multiple gender“ angegeben hatte, auch diejenigen Personen, die ausweis­lich der Wähler­liste keine Angabe zu ihrem Geschlecht gemacht hatten.

Nicht beantwortet hat das ArbG Berlin die Frage, wie die richtige Vorgehensweise gewesen wäre. Fraglich ist, ob der Wahlvorstand davon ausgehen muss, dass die Regelung des § 15 Abs. 2 BetrVG von einem binärem Geschlechterverständnis ausgeht und er – solange der Gesetzgeber untätig bleibt – das „dritte“ Geschlecht zum Schutz des „zweiten“ Minderheitengeschlechtes unberücksichtigt lassen muss. Der Konflikt mit der Rechtsprechung des BVerfG ist dabei offensichtlich.

Eine Variante wäre, entgegen dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 BetrVG, beide Minder­heiten­geschlechter zu berück­sichtigten. Dies würde hier dazu führen, dass fünf Mindestsitze auf die Minderheitengeschlechter fallen würden, während das Geschlecht in der Mehrheit noch vier Sitze erhalten könnte.

Es bleibt die Hoffnung, dass der Gesetzgeber im Sinne verlässlicher Betriebsratswahlen und zur Unterstützung der Wahlvorstände sich der Thematik annimmt und handhabbare Regelungen schafft.
 
Dr. René von Wickede, Pflüger Rechtsanwälte GmbH

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