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eNews 97 | März 2025

Müssen freigestellte Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist nach Arbeit suchen?

Im Falle einer Kündigung werden Arbeitnehmer regelmäßig von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. In einer solchen Konstellation stellt sich die Frage, inwiefern sich Arbeitnehmer während des Freistellungszeitraumes bereits um eine neue Beschäftigung bemühen müssen. Dazu hat das Bundesarbeitsgericht jüngst Stellung genommen (BAG, Urteil vom 12. Februar 2025, Az. 5 AZR 127/24). Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich und stellt den Arbeitnehmer trotz dessen Beschäftigungsanspruchs von der Arbeit frei, unterlässt der Arbeitnehmer in der Regel nicht böswillig iSd. § 615 Satz 2 BGB anderweitigen Verdienst, wenn er nicht schon vor Ablauf der Kündigungsfrist eine andere Arbeit aufnimmt oder sich um eine anderweitige Beschäftigung bemüht.

Im vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. März 2023 ordentlich zum 30. Juni 2023 gekündigt und den Kläger unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen und Fortzahlung der Vergütung unwiderruflich freigestellt. Der Kläger meldete sich Anfang April 2023 arbeitssuchend und erhielt von der Agentur für Arbeit erstmals Anfang Juli Vermittlungsvorschläge. Die Beklagte übersandte ihm hingegen schon im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 - aus ihrer Sicht passende -Stellenangebote. Auf sieben davon bewarb sich der Kläger, allerdings erst ab Ende Juni 2023. Nachdem die Beklagte dem Kläger für Juni 2023 keine Vergütung mehr zahlte, hat er diese arbeitsgerichtlich geltend gemacht. Die Beklagte hat eingewendet, dass der Kläger verpflichtet gewesen sei, sich während der Freistellung zeitnah auf die ihm überlassenen Stellenangebote zu bewerben. Weil er dies unterlassen habe, müsse er sich für Juni 2023 nach § 615 Satz 2 BGB fiktiven anderweitigen Verdienst in Höhe des bei der Beklagten bezogenen Gehalts anrechnen lassen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts. Die Beklagte habe sich aufgrund der von ihr einseitig erklärten Freistellung des Klägers während der Kündigungsfrist im Annahmeverzug befunden und schulde dem Kläger nach § 615 Satz 1 BGB iVm. § 611a Abs. 2 BGB die vereinbarte Vergütung für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist. Der Kläger müsse sich nicht erzielten anderweitigen Verdienst nicht nach § 615 Satz 2 BGB anrechnen lassen. Das Bundesarbeitsgericht argumentierte, dass der Nachteil, der durch eine fiktive Anrechnung nicht erworbenen Verdienstes beim Arbeitnehmer eintritt, nur gerechtfertigt sei, wenn dieser wider Treu und Glauben (§ 242 BGB) untätig geblieben ist. Aufgrund der Billigkeitsregelung des § 615 Satz 2 BGB könne der Umfang der Obliegenheit des Arbeitnehmenden zu anderweitigem Erwerb nicht losgelöst von den Pflichten des Arbeitgebers beurteilt werden. Auch während der Kündigungsfrist habe der Kläger einen Anspruch auf Beschäftigung. Die Beklagte habe allerdings nicht dargelegt, dass ihr die Erfüllung des bestehenden Beschäftigungsanspruchs des Klägers unzumutbar gewesen wäre. Daher habe für den Kläger keine Verpflichtung bestanden, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist zur finanziellen Entlastung der Beklagten ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen und daraus Verdienst zu erzielen.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist grundsätzlich begrüßenswert. Jedoch ist zu beachten, dass in den Fällen, in denen eine Beschäftigung für den Arbeitgeber unzumutbar ist, unter Umständen die Obliegenheit für Arbeitnehmer bestehen, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist nach einer neuen Beschäftigung zu suchen und eine anderweitige Beschäftigung nachzugehen. Ein solcher Fall wäre zum Beispiel denkbar, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr beschäftigen kann (z.B. Betriebsstillegung).

 

Franziska Köster, Pflüger Rechtsanwälte GmbH

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