Gibt es ein Recht auf Gebetspausen in der Arbeitszeit?
Dr. Norbert Pflüger, erschienen in F.A.S., 1. November 2020, Beruf und Chance, „Mein Urteil“
Abmahnungen beziehen sich stets auf Vertragspflichtverletzungen. Bei Wiederholung des Fehlverhaltens droht die Kündigung. Der muslimische Mitarbeiter eines Industrieunternehmens erhielt gleich drei Abmahnungen. Der Arbeitgeber wirft ihm unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz wegen des Nachmittagsgebets vor. Er habe sich insbesondere nicht mit seinem Vorgesetzten abgesprochen. Das Landesarbeitsgericht Hamm musste entscheiden, ob die Art der Inanspruchnahme der Gebetspause durch das Grundrecht der Religionsfreiheit gedeckt war. Es hielt die Abmahnungen für gerechtfertigt. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers sei zwar durch die Religionfreiheit beschränkt. Die Arbeitsvertragsparteien seien aber zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet. Das für gläubige Muslime verpflichtende Nachmittagsgebet muss daher außerhalb der Arbeitszeit verrichtet werden, sofern möglich. Der Arbeitnehmer hatte in diesem Fall nicht dargelegt, dass er das Gebet nicht nach der Arbeitszeit hätte verrichten können. Aber auch wenn der Zeitraum des Nachmittagsgebets in die Arbeitszeit falle, dürfe der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nur nach Absprache mit seinem Vorgesetzten verlassen. Das Recht auf Religionsausübung berechtigt nicht dazu, ohne Rücksicht auf den Betriebsablauf die Arbeit zu unterbrechen. Das Recht zur gegenseitigen Rücksichtnahme sollte auch im Betrieb immer Leitlinie individuellen Verhaltens sein.
Norbert Pflüger ist Geschäftsführender Gesellschafter der Kanzlei Pflüger Rechtsanwälte in Frankfurt.