eNews 42 | Mai 2013

Aktuelle Tendenzen im Arbeitsrecht

Richterinnen des Arbeitsgerichts Frankfurt kommentieren Entscheidungen und Entwicklungen

 
Petra Hartmann und Dr. Silke Kohlschitter stellten am 15. April 2013 auf Einladung der Pflüger Rechtsanwälte GmbH aktuelle Entscheidungen der Arbeitsgerichte vor. Dabei standen insbesondere juristische Aspekte zur Leiharbeit und Arbeitszeitregelung im Fokus, die vor dem Hintergrund unterschiedlicher Urteile aus dem Jahr 2012 erläutert und diskutiert wurden. Die große Resonanz auf die Veranstaltung – rund hundert Teilnehmer waren der Einladung gefolgt – sowie die rege Diskussion mit den Referentinnen verdeutlichten den Informationsbedarf und das Orientierungsbedürfnis von Betriebsräten und Personalern.

Arbeitsgerichte legen das novellierte AÜG unterschiedlich aus

Zwei völlige konträre Entscheidungen der Arbeitsgerichte in Verbindung mit der Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetztes (AÜG) nahm Petra Hartmann zum Ausgangspunkt ihrer Ausführungen. Bereits 2003 war das AÜG geändert worden, so wurden etwa das Befristungsverbot oder die Beschränkung der Überlassung aufgehoben. Seit 1. Dezember 2011 sind weitere Änderungen in Kraft getreten. Die Ergänzung in § 1 Erlaubnispflicht, Absatz 1 um den Zusatz „vorübergehend“ hat 2012 die Gerichte mehrfach beschäftigt und, wie Richterin Hartmann ausführte, zu völlig unterschiedlichen Auslegungen kommen lassen.

Am Begriff „vorübergehend“ scheiden sich die Geister

Der Gesetzgeber hat den Begriff „vorübergehend“ nicht juristisch konkretisiert, und es ist umstritten, wann ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf besteht und ob eine vorübergehende Beschäftigung eine unbefristete Einstellung per Definition ausschließt. Nach der Auffassung des LAG Niedersachsen (Beschluss vom 19.09.2012, Az. 17 TaBV 124/11) handelt es sich bei einer unbefristeten Einstellung von Leiharbeitnehmern auf einem Dauerarbeitsplatz um eine nach dem AÜG unzulässige Dauerbeschäftigung. Das LAG Düsseldorf (Beschluss vom 02.10.2012, Az. 17 TaBV 48/12) hält hingegen die Einstellung eines Leiharbeitnehmers ohne zeitliche Befristung auch nach dem AÜG für zulässig.

Auch die Frage, ob die Norm des § 1 Abs. 1 AÜG als Verbotsgesetz auszulegen ist, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Der 12. Senat des LAG Niedersachsen (Beschluss vom 14.11.2012, Az. 12 TaBV 62/12) hat dies verneint, während der 17. Senat des LAG Niedersachsen (Beschluss vom 19.09.2012, Az. 17 TaBV 124/11) die Norm als Verbotsgesetz ausgelegt hat. Der 17. Senat des LAG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weshalb abzuwarten sein wird, ob das BAG, die am Normzweck der EU-Richtlinie orientierten Entscheidungsgründe des LAG akzeptiert.

Siehe auch eNews 40, „Das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz schafft keine Klarheit“

Mitspracherechte des Betriebsrats

Konfliktpotenzial birgt das AÜG auch bei der Frage, ob Leiharbeiter auf Dauerarbeitsplätzen eingesetzt werden dürfen und welche Mitspracherechte der Betriebsrat in diesem Fall hat. Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 19.12.2012, Az. 4 TaBV 1163/12) ist hier richtungsweisend, das dem Betriebsrat das Recht einräumt, seine Zustimmung bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen zu verweigern.

Leiharbeitnehmer, dies machten die Ausführungen von Petra Hartmann deutlich, genießen weniger Mitbestimmungsrechte. Bei Betriebsratswahlen sind diese zwar wahlberechtigt, sofern sie länger als drei Monate im Entleiherunternehmen tätig sind. Außerdem hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine Entscheidung aus dem Jahr 2003 (Beschluss vom 16.04.2003, Az. 7 ABR 53/02) inzwischen revidiert und gibt mit Beschluss vom 13. März 2013 (Az. 7 ABR 69/11) seine damalige Haltung auf, sodass künftig Leiharbeitnehmer bei der Größe des Betriebsrats grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Es ist ihnen jedoch auch weiterhin verwehrt, sich selbst bei längerer Beschäftigung im Entleiherbetrieb in den Betriebsrat wählen zu lassen.

Was ist Arbeitszeit?

In ihrem Vortrag beschäftigte sich Dr. Silke Kohlschitter sehr pointiert mit dem weitreichenden Phänomen der Entgrenzung der Arbeitszeit. Immer wieder, so führte die Richterin des Frankfurter Arbeitsgerichts aus, beschäftigen arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen über Mehrarbeit oder Überstunden die Arbeitsgerichte. Grundsätzlich gehören Rufbereitschaft, Bereitschaftsdienst, Wasch- und Umkleidezeiten, Dienstreisezeiten sowie Freizeitaktivitäten arbeitszeitrechtlich im Sinne des Arbeitsschutzes und vertragsrechtlich nicht zur Arbeitszeit. Ausnahmen sind etwa das Anlegen einer Sicherheits- oder Dienstkleidung, wenn eine dienstliche Anordnung vorliegt (vgl. BAG 11.10.2000, NZA 2001, 458 sowie BAG 19.09.2012, Az. 5 AZR 678/1), oder wenn der Arbeitnehmer durch eine Dienstreise etwa seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt.

Überstunden oder Mehrarbeit

Die Arbeitszeit, die im Kollektiv- oder Arbeitsvertrag überschritten wird, bezeichnet man als Überstunden. Dr. Kohlschitter wies darauf hin, dass es ohne ausdrückliche Regelung bis auf Not- oder Katastrophenfälle keine Verpflichtung zur Mehrarbeit gibt. Diese muss mit dem Betriebsrat verabredet oder, sofern es sich um ein betriebsratsloses Unternehmen handelt, arbeitsvertraglich geregelt sein. Sind Überstunden angeordnet, gibt es weder einen Rechtsanspruch auf Vergütung noch einen Anspruch auf Überstundenzuschlag. Überstunden können auch in Form eines Freizeitausgleichs abgegolten werden. Generell gilt, dass Mehrarbeit abgegolten werden muss. Bei höheren Diensten hat das BAG mit Entscheidung vom 17.08.2011 (Az. 5 AZR 406/10) diesen Grundsatz jedoch eingeschränkt.

Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei Anordnung von Mehrarbeit oder Veränderung der Arbeitszeit wird durch § 87 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) geregelt.

Siehe auch die Veröffentlichung „Wann kann ich Geld für meine Überstunden verlangen?“
 

Entgrenzung der Arbeitszeit erfordert Umdenken und neue Regelungen

In vielen Unternehmen sind inzwischen Gleitzeitmodelle statt fester Arbeitszeiten die Regel, oder die Arbeitsleistung wird teilweise auf der Grundlage sogenannter Vertrauensarbeitszeit erfasst. Dank moderner Technik sind Mitarbeiter für Vorgesetzte und Kollegen unabhängig von üblichen Arbeitszeiten überall erreichbar. Die weitreichende Flexibilisierung von Arbeitszeit oder Arbeitsort führt zu einer Vermischung von Arbeit und Freizeit, die Arbeitsleistung geht nicht selten über die eigentliche vertragliche Arbeitszeit hinaus. Und nur in den wenigsten Fällen, so die Frankfurter Arbeitsrichterin, seien diese Mehrarbeit und die entsprechende Vergütung geregelt. Aus ihrer Sicht werde zudem eine wechselseitige Flexibilisierung nicht gelebt, es fehle in vielen Fällen an klaren Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Erste Ansätze dazu seien bei Großunternehmen wie der Telekom oder VW erkennbar, generell müsse aber eine Unternehmenskultur geschaffen werden, in der Mehrarbeit abgebaut werden können.

Sarah Wékel, Pflüger Rechtsanwälte GmbH

Die Vorträge der beiden Frankfurter Richterinnen sind als PowerPoint-Präsentation bei Pflüger Rechtsanwälte GmbH erhältlich. Schreiben Sie uns bitte ein E-Mail.

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