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eNews 88 | Juli 2023

Neues zum Beweisverwertungsverbot: Stehen Datenschutzverstöße einer Verwertung von Beweismitteln im Prozess entgegen?

In der eNews 85 berichteten wir über eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen, der zufolge der Arbeitgeber gegen eine Betriebsvereinbarung verstoßende Daten nicht prozessual verwerten darf (Urteil vom 06.07.2022, Az. 8 Sa 1148/20). Das BAG hat dieses Urteil nunmehr im Wesentlichen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des LAG zurückverwiesen (Urteil vom 29.06.2023, Az. 2 AZR 297/22). Die Begründung für diese Entscheidung wurde noch nicht veröffentlicht, jedoch liegt die Presse­mitteilung zu einem ähnlichen Fall beim selben Arbeitgeber vor (Urteil vom 29. Juni 2023, Az. 2 AZR 296/22).

Auch hier war Gegenstand des Verfahrens eine außerordentliche Kündigung wegen Arbeits­zeit­betruges. Es stellte sich wiederum die Frage, welche der von den Parteien vorgelegten Beweis­mittel das Gericht bei der Feststellung einer Pflicht­verletzung zu verwerten hatte.

Der Arbeitgeber behauptete, der als Teamsprecher in der Gießerei beschäftigte Kläger habe unter anderem am 02.06.2018 eine sog. „Mehrarbeits­schicht“ nicht geleistet, dafür aber die Vergütung verlangt. Er sei an dem fraglichen Tag zunächst auf das Werks­gelände gekommen, habe dieses aber noch vor Schicht­beginn wieder verlassen. Zum Beweis legte der Arbeitgeber Aufnahmen einer Videokamera vor, die deutlich sichtbar und durch ein Piktogramm gekennzeichnet an einem Werkstor angebracht war.

Das BAG entschied, dass das LAG Niedersachsen die Aufnahmen der Videokamera hätte verwerten müssen. Dies folge aus EU-Recht sowie den Vorschriften des nationalen Verfahrens- und Verfassungs­rechts. Es sei unerheblich, ob die Video­aufnahmen unter Beachtung sämtlicher Vorschriften des Bundes­daten­schutz­gesetzes sowie der Datenschutz-Grund­verordnung zustande gekommen seien. Jeden­falls bei einer offenen Video­überwachung und dem Vorwurf einer vorsätzlichen Pflicht­verletzung des Arbeit­nehmers sei eine Verwertung geboten. Es komme dann auch nicht darauf an, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme gewartet und wie lange er die Daten bereits gespeichert habe. Ausdrück­lich nicht entschieden hat das BAG die Frage, ob eine Verwertung ausnahms­weise ausscheide, wenn die Über­wachungs­maßnahme eine schwerwiegende Grund­rechts­verletzung darstelle. Das sei vorliegend nicht der Fall gewesen.

Der Datenschutz nimmt seit Inkraft­treten der Daten­schutz-Grund­verordnung im Mai 2018 auch in arbeits­recht­lichen Frage­stellungen eine prominente Rolle ein. Das BAG hat nun eine Einordnung dahingehend vorgenommen, dass Daten­schutz­verstöße jedenfalls grundsätzlich nicht zu einem Verwertungsverbot des betroffenen Materials in arbeits­gericht­lichen Prozessen führen. Dieser Entscheidung ist zuzustimmen. Müsste das Gericht vor der Verwertung eines jeden Beweis­mittels eine umfassende Prüfung auf Daten­schutz­konformität vornehmen, wäre eine effektive Prozess­führung kaum mehr möglich und ein nicht unerheblicher Teil der für die Entscheidung maßgeblichen Beweismittel müsste unberück­sichtigt bleiben. Stellen Datenschutz­verstöße eine schwerwiegende Grund­rechts­verletzung dar, kann im Rahmen einer Abwägung der betroffenen Verfassungs­güter ausnahmsweise ein Verwertungs­verbot angezeigt sein. Wie bereits in der eNews 85 ausgeführt sollten Verstöße gegen Betriebs­verein­barungen zur Datenerfassung und -verwendung jedoch stets zu einem Beweis­verwertungs­verbot führen. Dies ist das effektivste und auch angemessene Mittel, um die Geltung der betroffenen Betriebs­verein­barungen faktisch durchzusetzen.
 
Dr. Andreas Lutz, Pflüger Rechtsanwälte GmbH

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