eNews 54 | September 2015

Haben Piloten kein Recht, einen Betriebsrat zu wählen?

Der § 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) regelt, dass in Betrieben mit mindestens fünf volljährigen Arbeitnehmern Betriebsräte zu wählen sind. Soweit die Theorie. Die Praxis zeigt wie so oft die Tücken im Detail. Diese verdeutlicht ein aktueller Konflikt in dem Unternehmen Aerologic, einer Fracht-Airline, die zur Hälfte der Lufthansa Cargo, zur anderen Hälfte der Deutschen Post/DHL gehört. Dort findet derzeit eine Betriebsratswahl statt, an der sich auch das im Flugbetrieb beschäftigte Personal beteiligen will. Obwohl auch Piloten Arbeitnehmer sind, die laut § 1 berechtigt sein sollten, einen Betriebsrat zu wählen, will das Management die Wahl mit dem Argument verhindern, dass sich Piloten von Gesetzes wegen nicht an der Wahl beteiligen dürften. Die Richter des Arbeitsgerichts Leipzig als auch – in zweiter Instanz – des Sächsischen Landesarbeitsgerichts weigerten sich, einstweilige Verfügungen gegen die Wahldurchführung zu erlassen. Warum will also der Arbeitgeber Piloten von der Wahl ausgeschlossen sehen?

Ganz so abwegig, wie man meinen könnte, ist der Ansatz des Arbeitgebers nicht. Im Gesetz ist nur geregelt, dass das BetrVG auf Landbetriebe von Flugunternehmen anzuwenden ist (§ 117 Abs. 1 BetrVG). Daraus könnte man schließen, dass das Gesetz nicht auf das im Flugbetrieb beschäftigte Personal anzuwenden sei. Die Nichtanwendung des BetrVG auf das fliegende Personal hält das Bundesarbeitsgericht (BAG) auch grundsätzlich für verfassungsgemäß. Die Herausnahme des fliegenden Personals aus der Betriebsverfassung will das BAG aber nur dann hinnehmen, wenn ein Tarifvertrag besteht, der für diese Beschäftigtengruppe eine Arbeitnehmervertretung vorsieht (BAG, 20.02.2001, Aktenzeichen 1 ABR 27/00). Fehlt also ein solcher Tarifvertrag, so sind auch Piloten und die sonstigen im Flugbetrieb eingesetzten Beschäftigten berechtigt, einen „klassischen“ Betriebsrat (mit) zu wählen.

Der „Betriebsrat für Piloten“ kann außerdem europarechtlich untermauert werden. § 3 der „EU-Mitbestimmungsrechtlinie“ sieht vor, dass EU-Mitgliedsstaaten nur für die Besatzung von Hochseeschiffen eine von der Richtlinie abweichende Regelung treffen können. Piloten oder Flugpersonal können also das Mindestniveau der Beteiligungsrechte in Anspruch nehmen, das allen übrigen Arbeitnehmern in der Richtlinie garantiert wird. Piloten, so könnte die Schlussfolgerung lauten, dürfen mitbestimmungsrechtlich nicht gegenüber den übrigen Beschäftigten ausgegrenzt werden.

Für Aerologic bedeutet dies wohl, dass das Unternehmen nicht tariffrei bleiben und zugleich eine Betriebsratswahl verhindern kann, an der sich das fliegende Personal beteiligt.
 
Dr. Norbert Pflüger, Pflüger Rechtsanwälte GmbH

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