eNews 62 | April 2017

Kann mir bei verspätet eingereichter Krankschreibung gekündigt werden?

Kann der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht zur Arbeit erscheinen, so muss er sich beim Arbeitgeber unverzüglich arbeitsunfähig melden und dem Arbeitgeber die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit mitteilen. Diese Pflichten sind durch das Entgeltfortzahlungsgesetz in § 5 EFZG geregelt. Häufig ist die Pflicht zur unverzüglichen Krankmeldung und zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zusätzlich auch noch im Arbeitsvertrag konkretisiert. Auf den ersten Blick scheint aufgrund der gesetzlichen Regelungen die krankheitsbedingte Abwesenheit eines Arbeitnehmers wenig konfliktträchtig. Die große Anzahl an arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zu diesem Thema zeigt jedoch, dass es in der Praxis immer wieder zu Missverständnissen und Verstößen kommt, die zu einer Abmahnung bis hin zur Kündigung führen können.

Laut Gesetz hat ein Arbeitnehmer bei Erkrankung am Arbeitsplatz dies anzuzeigen und sich vor dem Verlassen des Arbeitsplatzes abzumelden. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, so ist er gesetzlich verpflichtet, spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, es sei denn, der Arbeitgeber verlangt die Vorlage bereits früher.

Wie unterschiedlich die Gesetzeslage bewertet wird, zeigt der Fall, der dem Hessischen Landesarbeitsgericht am 29.08.2016 vorlag. Hier hatte das LAG über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung zu entscheiden, die wegen der unterlassenen Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Kläger ausgesprochen wurde (Hessisches LAG, Urteil vom 29.08.2016, Az. 16 Sa 687/16). Der Kläger war bereits mehrfach wegen der verspäteten Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgemahnt worden. Gleichwohl hielt das Gericht die ordentliche Kündigung für unwirksam, da sie sich im Rahmen der Interessenabwägung als unverhältnismäßig erwies.

Das Gericht führte dabei zunächst aus, dass das Gewicht des vom Arbeitgeber zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogenen Fehlverhaltens eher als gering zu bewerten sei. Das LAG argumentierte, dass die Pflicht des Arbeitnehmers, seine Arbeitsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachzuweisen, regelmäßig hinter die Pflicht zurücktrete, den Arbeitgeber unverzüglich über den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer zu unterrichten. Dieser Pflicht war der Arbeitnehmer nachgekommen. Wegen der Auswirkungen auf den Betriebsablauf habe der Arbeitgeber in aller Regel ein größeres Interesse an einer schnellen Unterrichtung über die Arbeitsunfähigkeit als an einem ärztlichen Nachweis darüber, ob die Behauptungen seines Arbeitnehmers zutreffen.

Hieraus ergebe sich jedoch nicht, dass die Verletzung der Nachweispflicht kündigungsrechtlich grundsätzlich unerheblich wäre. Auch dem Nachweis der Arbeitsunfähigkeit könne, insbesondere wenn er nach den getroffenen Vereinbarungen „unverzüglich“ vorzunehmen sei, erhebliche Bedeutung für die Planung der Arbeitsorganisation des Arbeitgebers zukommen. Dies gelte vor allem dann, wenn sich aus der Krankmeldung des Arbeitnehmers keine einigermaßen zuverlässigen Anhaltspunkte über die Dauer der Erkrankung ergeben oder wenn die persönliche Meldung des Arbeitnehmers aus anderen Gründen nicht als zuverlässig anzusehen ist. Überdies könne sich aus der beharrlichen Nichtbeachtung der vom Arbeitnehmer wirksam übernommenen vertraglichen Nebenpflichten die fehlende Bereitschaft des Arbeitnehmers zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung ergeben, wodurch für den Arbeitgeber eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses entstehen könne.

Ob eine Kündigung aufgrund einer verspätet eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wirksam ist oder nicht, hängt demnach im Rahmen der Interessenabwägung von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Insbesondere wird es darauf ankommen, ob der Verstoß zuvor einschlägig abgemahnt wurde und wie schutzwürdig das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ist. Dabei sind insbesondere die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers sowie etwaige Unterhaltspflichten zu berücksichtigen.
 
Stefanie Rahbari, Pflüger Rechtsanwälte GmbH

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