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Saskia Steffen Veröffentlichung

Wann droht eine Kündigung wegen Pflichtverletzung?

Saskia Steffen, erschienen in F.A.S., 24. September 2023, Beruf und Chance, „Mein Urteil“

Wer der Arbeit fernbleibt, ohne sich zu erklären oder zu entschuldigen, lebt gefährlich. Ein Kirchenmusiker kommt trotzdem davon.

Dauerbrenner bei den Arbeitsgerichten ist die Frage, unter welchen Umständen die Pflichtverletzung eines Arbeitnehmers, mit oder ohne vorherige Abmahnung, eine Kündigung rechtfertigt. In einem vom Arbeitsgericht Lübeck (Urteil vom 15.06.2023 – 1 Ca 323 öD/23) zu entscheidenden Fall war ein Kirchenmusiker bereits seit 25 Jahren bei einer Kirchengemeinde beschäftigt. Aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit konnte sein Arbeitsverhältnis nur außerordentlich gekündigt werden.

Der Arbeitnehmer war im Dezember 2022 nicht zu einer Trauerfeier erschienen, die er musikalisch begleiten sollte. Er war zu diesem Zeitpunkt telefonisch nicht erreichbar. Drei Tage später entschuldigte er sich für sein Verhalten und erklärte, aktuell sehr intensiv mit einem anderen Kirchenprojekt beschäftigt zu sein. Nachdem der Kirchenmusiker im Jahr 2022 wegen anderer Sachverhalte bereits drei Abmahnungen erhalten hatte, kündigte ihm die Arbeitgeberin wegen dieses Vorfalls außerordentlich.

Zu Unrecht, wie das Arbeitsgericht Lübeck entschieden hat. Zwar seien das fahrlässige Fernbleiben der Trauerfeier, die fehlende Erreichbarkeit und späte Entschuldigung gravierende Pflichtverstöße, dennoch rechtfertigten sie eine außerordentliche Kündigung mangels einer einschlägigen Abmahnung nicht. Im Ergebnis ist bei Pflichtverletzungen von Arbeitnehmern immer zu prüfen, wie gravierend diese sind und ob sie für den Arbeitgeber die Fortführung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen. Bei fahrlässigen Pflichtverletzungen ist dies nur in einem konkreten Wiederholungsfall, für den auch eine Abmahnung erteilt worden ist, anzunehmen.
 
Saskia Steffen ist Geschäftsführerin der Kanzlei Pflüger Rechtsanwälte in Frankfurt am Main.