eNews 89 | September 2023
Betriebsbedingte Kündigung in der Insolvenz – Interessenausgleich mit Namensliste
Die Wirksamkeit von Kündigungen ist bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auch im Falle der Insolvenz anhand der Anforderungen des § 1 KSchG zu bestimmen. Bei Kündigungen im Rahmen einer Betriebsänderung wünschen Arbeitgeber oder Insolvenzverwalter regelmäßig bei den Verhandlungen zum Interessenausgleich die Vereinbarung einer Namensliste. Betriebsräte sollten sich der weitreichenden Folgen für die auf der Liste aufgeführten Arbeitnehmer bewusst sein.
Ist eine Betriebsänderung iSd. § 111 BetrVG geplant und schließen der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat darüber einen Interessenausgleich mit Namensliste, wird jedoch nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO vermutet, dass die Kündigung des in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmers durch dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs muss sich die Betriebsänderung noch in der Planungsphase befinden, damit dem Betriebsrat entsprechend dem Zweck des § 111 BetrVG eine Einflussnahme auf die unternehmerische Entscheidung möglich ist.
Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Entscheidung vom 17.08.2023, Az. 6 AZR 56/23 nochmals klargestellt. In dem zu entscheidenden Fall war der Kläger seit 2011 bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigt. Der Insolvenzverwalter schloss vor dem Hintergrund der geplanten Stilllegung des Betriebs mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit drei verschiedenen, insgesamt sämtliche Arbeitnehmer aufführenden Namenslisten. Der Insolvenzverwalter kündigte schließlich das Arbeitsverhältnis des Klägers betriebsbedingt mit Schreiben vom 29.06.2020 zum 31.05.2021 und aufgrund einer behaupteten Schwerbehinderung vorsorglich ein weiteres Mal mit Schreiben vom 20.08.2021 ebenfalls zum 31.05.2020.
Das Landesarbeitsgericht Hamm (Az. 16 Sa 85/21) sah die Kündigungen als unwirksam an, da der Insolvenzverwalter nicht hinreichend dargelegt habe, dass die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG gemäß § 125 Abs 1 Satz 1 InsO geplant war. Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Nachdem rechtskräftig festgestellt wurde, dass der Kläger keinen besonderen Kündigungsschutz infolge einer Schwerbehinderung genießt, musste die Wirksamkeit der Kündigung nach dem allgemeinen Kündigungsschutz beurteilt werden. Die Kündigung ist nach den Feststellungen des BAG aufgrund der Vermutung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, wirksam. Diese Vermutungswirkung führt zu einer Beweislastumkehr, wonach dann die Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Kündigung darlegen müssen.
Da § 1 Abs. 5 KSchG auch für Betriebsänderungen außerhalb der Insolvenz eine Vermutungswirkung vorsieht, sollten Betriebsräte genau hinschauen und abwägen, ob sie einer Namensliste zustimmen und damit den Kündigungsschutz einzelner Arbeitnehmer erheblich beschränken.
Hakima Taous, Pflüger Rechtsanwälte GmbH
Auch in dieser Ausgabe:
Beleidigung in einer WhatsApp-Gruppe – ist die fristlose Kündigung gerechtfertigt? Lesen
Sonderkündigungsschutz von Betriebsräten in Matrixstrukturen Lesen
Copyright: © Saskia Steffen, Pflüger Rechtsanwälte GmbH
Alle Rechte vorbehalten. Abdruck und / oder Vervielfältigung der Texte oder Auszüge aus ihnen nur nach Rücksprache und mit Genehmigung des Rechteinhabers.
All rights reserved. No part of the newsletter may be reproduced in any form without written permission from the author.