eNews 89 | September 2023
Sonderkündigungsschutz von Betriebsräten in Matrixstrukturen
Betriebsratsmitglieder haben gemäß § 15 KSchG einen besonderen Kündigungsschutz. Grundsätzlich kann ihnen nur außerordentlich und mit vorheriger Zustimmung des Betriebsratsgremiums gekündigt werden. Eine ordentliche Kündigung eines Betriebsrates ist im Allgemeinen ausgeschlossen. Sie ist ausnahmsweise dann gemäß § 15 Abs. 4 und Abs. 5 möglich, wenn der gesamte Betrieb oder eine Betriebsabteilung stillgelegt wird. In diesem Fall muss das Gremium der Kündigung nicht zustimmen, sondern es muss gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG (wie bei der Kündigung aller anderen Arbeitnehmer) nur angehört werden.
Wann wird nun aber in Matrixstrukturen, die erfahrungsgemäß sehr komplex sind, eine Betriebsabteilung geschlossen? Mit dieser Frage hatte sich kürzlich das LAG Niedersachsen (Urteil vom 24.07.2023 – Az. Sa 906/22) auseinanderzusetzen.
In einem niedersächsischen Betrieb eines internationalen Arzneimittelkonzerns gab es lediglich eine Controllerin, die im Rahmen einer Matrixstruktur der Finanzabteilung in Indien unterstellt war. Der Arbeitgeber übertrug die Aufgaben der Arbeitnehmerin, die zugleich Betriebsratsvorsitzende und Vertrauensperson für die schwerbehinderten Menschen war, auf seine Gesellschaft in Indien. Daraufhin kündigte er der Betriebsratsvorsitzenden ordentlich mit dem Argument, dass mit der Aufgabenübertragung der gesamte Finanz- und Controllingbereich und damit diese Betriebsabteilung in Niedersachsen geschlossen worden sei. Zudem habe es eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für die Arbeitnehmerin im Betrieb nicht gegeben.
Das LAG Niedersachsen gab der Kündigungsschutzklage der Beschäftigten statt. Es erklärte, dass die Voraussetzungen gemäß § 15 Abs. 5 KSchG (Schließung einer Betriebsabteilung), die eine ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ausnahmsweise ermöglichen, nicht vorlägen. Eine Betriebsabteilung ist, so hat es das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2010 definiert (BAG, Urteil vom 23.02.2010, Az. 2 AZR 656/08), ein räumlich und organisatorisch abgegrenzter Teil des Betriebs, der eine personelle Einheit erfordert, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stehen und der einen eigenen Betriebszweck verfolgt, auch wenn dieser in einem bloßen Hilfszweck für den arbeitstechnischen Zweck des Gesamtbetriebs besteht. Das LAG Niedersachsen urteilte, dass es hier bereits keine Abteilung gebe, da die Arbeitnehmerin keinen räumlich abgegrenzten Teil des Betriebs und keine personelle Einheit gebildet habe. Bei den der Klägerin zur Verfügung gestellten Arbeitsmitteln (Arbeitszimmer, Schreibtisch, Laptop usw.) handele es sich zudem um eine übliche Büroausstattung, die keine „eigenen technischen Betriebsmittel“ seien. Letztlich arbeite die Controllerin durch ihre Einbindung in eine Matrixstruktur gerade nicht organisatorisch selbständig.
Das LAG Niedersachsen ist damit zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einbindung von Arbeitnehmern in Matrixstrukturen nicht unmittelbar Auswirkungen auf die Betriebsorganisation nach dem Betriebsverfassungsgesetz haben kann. Ganz konkret hat das LAG einer Umgehung des Sonderkündigungsschutzes gemäß § 15 KSchG durch die Einführung von Matrixstrukturen den Riegel vorgeschoben und die Kontinuität des Betriebsratsamtes gesichert.
Saskia Steffen, Pflüger Rechtsanwälte GmbH
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