eNews 90 | November 2023
Gibt es künftig mehr Rechtssicherheit bei der Betriebsratsvergütung?
Im Juli 2023 hat die hochkarätig besetzte Kommission „Rechtssicherheit in der Betriebsratsvergütung“ dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einen Gesetzesvorschlag zur Schaffung von Rechtssicherheit in der Betriebsratsvergütung vorgelegt. Der Kommission gehörten neben dem Vorsitzenden Prof. Dr. Reiner Schlegel (Präsident des Bundessozialgerichts) Ingrid Schmidt (Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts a. D.) und Prof. Dr. Gregor Thüsing (Universität Bonn) an. Anlass der Beauftragung war das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Januar 2023 (Az. 6 StR 133/22) zum Untreuetatbestand bei Begünstigungen von Betriebsratsmitgliedern.
Ein Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) kann strafrechtlich relevant sein. Bei dieser Prüfung hat der BGH einen strengen Maßstab angelegt, was erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge hatte. Einige Unternehmen kürzten daraufhin präventiv die Vergütung insbesondere vollfreigestellter Betriebsratsmitglieder. Es liegen bereits erste arbeitsgerichtliche Entscheidungen vor, die sich mit der Rechtmäßigkeit dieser Kürzungen auseinandersetzen (vgl. ArbG Braunschweig vom 05.07.2023 – Az. 3 Ca 138/23, Berufung ist anhängig; ArbG Hannover vom 17.10.2023 – Az. 12 Ca 272/23).
Zur Schaffung von Rechtssicherheit hat die Kommission zwei Ergänzungen des BetrVG vorgeschlagen.
Mehr Spielraum für Betriebsparteien beim Mindestentgeltanspruch
§ 37 Abs. 4 BetrVG, der zur Vermeidung von Benachteiligung der Betriebsratsmitglieder einen Mindestentgeltanspruch formuliert, soll um folgende Sätze 3 bis 5 ergänzt werden:
Die Vergleichbarkeit bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamts, soweit nicht ein sachlicher Grund eine spätere Neubestimmung verlangt. Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist.
Der Vorschlag greift die bereits übliche Praxis in vielen Betrieben auf, ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer durch Betriebsvereinbarung zu regeln. Machen die Betriebsparteien von dieser Möglichkeit Gebrauch und einigen sie sich in Textform auf konkrete Vergleichspersonen, können diese Vereinbarungen nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Es sollen also nur offensichtliche Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot justiziabel sein. Dies ändert freilich nichts daran, dass § 37 Abs. 4 BetrVG zwingendes Recht darstellt und nicht durch Betriebsvereinbarung abgeändert werden kann.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung soll wie nach der bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich die Übernahme des Betriebsratsamtes sein. Ein Wechsel der Vergleichsgruppe kann erforderlich werden, wenn das Betriebsratsmitglied mit dem Arbeitgeber einen Änderungsvertrag schließt und auf eine höherdotierte Stelle wechselt. Eine nur hypothetische Beförderung spielt im Rahmen dieser Vorschrift hingegen keine Rolle (zu § 78 BetrVG sogleich). Schließen die Betriebsparteien keine Betriebsvereinbarung zur Betriebsratsvergütung, ist die praktizierte Betriebsratsvergütung weiterhin voll gerichtlich überprüfbar.
Konkretisierung des Maßstabs für die berufliche Entwicklung
Darüber hinaus schlägt die Kommission vor, § 78 BetrVG (allgemeines Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot, auch in Bezug auf die berufliche Entwicklung) um folgenden Satz 3 zu ergänzen:
Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Entgelt nicht vor, wenn das Mitglied der in Satz 1 genannten Vertretungen in seiner Person die für deren Gewährung erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.
Der ergänzte Satz soll die bisherige Rechtsprechung ausdrücklich in das Gesetz übernehmen, wonach ein „fiktiver Beförderungsanspruch“ besteht, wenn ein Betriebsratsmitglied nur infolge der Amtsübernahme oder der Freistellung nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist. Das sich bewerbende Betriebsratsmitglied muss dann darlegen, dass eine Bewerbung nur wegen der Freistellung unterblieben ist und ohne diese erfolgreich gewesen wäre. Erfolgt eine Beförderung durch Änderungsvereinbarung, stellt das keine untersagte Begünstigung dar, wenn eine plausible, nachvollziehbare Begründung für die Entscheidung auf Grundlage der Anforderungen und Kriterien der betroffenen Stelle vorliegt. Dabei können grundsätzlich auch durch die Amtstätigkeit erworbene Kenntnisse und Qualifikationen berücksichtigt werden, wenn diese nicht an die Betriebsratstätigkeit als solche anknüpfen (z. B. mit dem Management „auf Augenhöhe verhandeln“).
Am 01.11.2023 hat das Bundeskabinett schließlich das „Zweite Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes“ beschlossen, welches sich fast wortgleich mit den Vorschlägen der Kommission deckt. Ob damit der betrieblichen Praxis nunmehr rechtssichere und handhabbare Vorgaben zur Ausgestaltung der Betriebsratsvergütung zur Verfügung stehen, bleibt abzuwarten.
Dr. Andreas Lutz, Pflüger Rechtsanwälte GmbH
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